Verhindert der Datenschutz eine effektive Pandemiebekämpfung?
Heute morgen war meine Lektüre zum Morgenkaffee ein Artikel bei Heise.de in dem Prof. Nida-Rümelin ( Twitter / Blog ) eine ineffektive Corona-Warn-App wäre quasi Schuld an den Lockdowns und einer ineffizienten Pandemiebekämpfung. Er würde am liebsten sofort die Standortdaten aller CWA-Appnutzer erheben lassen und glaubt auch die Akzeptanz würde darunter nicht leiden.
Der Betroffene lege sein Smartphone dort auf den Tisch und “die lesen das aus”. Das könnte man auch “pseudonymisiert machen, entsprechend verschlüsselt”, meinte der einstige Kulturbeauftragte der Bundesregierung. Es wäre aber wichtig, eine “Nachverfolgbarkeit der Identitäten” vorzusehen, “da es auch Falsch-Positiv-Tests gibt” und niemand umsonst in Quarantäne geschickt werden sollte.
Tatsächlich hat sein Vorschlag einen gewissen Charme und ich setze mit einer Kombination von Ramble und der Corona-Warn-Companion-App etwas ähnliches um.
Allerdings gibt es zentrale Unterschiede zu seinen weiteren Ausführungen. Meine Datensammlung ist weiterhin dezentral und die gesammelten Informationen beschränken sich ausschließlich auf mein Handy. Da entsteht nichts was für ein Gesundheitsamt interessant sein könnte. Es dient vielmehr mir dazu Risikokontakte besser und vor allem sensibler einzuschätzen als dies mit der CWA möglich ist.
Obwohl ich auf Risikominimierung achte und den Personenkreis mit dem ich mich treffe seit einem Jahr quasi konstant halte hatte ich zwischenzeitlich eine “Risiko-Begegnung mit geringem Risiko”. Wo die war? Keine Ahnung. Ist da jemand an meinem Fenster vorbeigelaufen? War es die Person neben mir im Bus? War es der Paketbote der mir nur kurz ein Paket gebracht hat? Alles unklar.
Kurze Zeit später bin ich über oben verlinkte CW-Companion-App gestolpert und logge seitdem mit Ramble die Bluetoothdaten in meiner Umgebung. Bei einer erneuten Risikobegegnung könnte ich nun eine eigene Einschätzung vornehmen wo diese Risikobegegnung war, wie lange diese angedauert hat und wie stark das Signal war. Was tatsächlich eine Bereicherung wäre - allerdings auch nur für mich. Daraus gezogene Schlüsse könnte ich eventuell dem Gesundheitsamt noch mitgeben - damit hat es sich dann aber auch.
Nun allerdings zurück zum Text…
Für Nida-Rümelin steht trotzdem fest, dass jetzt alles dafür getan werden müsse, damit die Ämter in den Stand gesetzt werden, Infektionsketten digital nachvollziehen zu können. Sonst drohe in ein paar Wochen ein dritter oder vierter Lockdown, wenn die Zahlen mit Ansteckungen wieder anstiegen. Solche harten Maßnahmen dürften ihm zufolge weltweit viele Millionen Tote etwa durch Hunger verursachen. Datenschutz sei ganz wichtig, “aber wir müssen auch dieses Grundrecht mit anderen abwägen”.
Abgesehen davon das die Umsetzung der CWA wohl kaum für den weltweiten Hunger ursächlich oder auch nicht ursächlich ist (Deutschland ernährt meines Wissens auch nicht die Welt) hat die Nachverfolgung der Infektionsketten nichts mit einer GPS-basierten Ortung im Zusammenhang mit der CWA zu tun.
Abgesehen davon dass wenn es zu einer Verfolgung von Infektionsketten kommt es eigentlich schon zu spät ist (wir hängen hier ja immer mehrere Tage hinterher) ist doch fraglich wie eine Ortung hier helfen soll. Wird dann das ganze Wohn(hoch)haus unter Quarantäne gestellt? Wer soll diesen Datenschatz auswerten?
Dass die Akzeptanz der bislang rein auf ein Tracing angelegten Corona-App mit einem solchen Tracking-Verfahren sinke, glaubt der Vizevorsitzende des Deutschen Ethikrates nicht. “Unsere Nutzerdaten, die wir auf verschiedenen Plattformen hinterlassen, werden von Tech-Giganten fast beliebig für ökonomische Zwecke eingesetzt und von der NSA kontrolliert”, führte er aus. Viele Leute wüssten das nach den Snowden-Enthüllungen, änderten ihr Verhalten trotz der damit verknüpften Gefahren für die Privatsphäre aber nicht.
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Da müsste es für Zwecke des Gesundheitsschutzes doch nur legitim sein, “dass wir ein paar harmlose Anreize geben dafür”, dass die Nutzer eine aufgerüstete CWA mit ihren Standortdaten fütterten. Er sei sich sicher, dass die Leute mitmachten, wenn sie zum Friseur oder ins Restaurant gehen oder im ICE einen Espresso bestellen wollten: “Ich mache mir hier gar keine Sorgen.”
Hier legt er einen Finger in eine sehr große Wunde. Trotzdem würde der folgende Aufschrei zu einer Deinstallation von vielen Smartphones (inklusive meinem) führen. Das Ergebnis einer Technikfolgenabschätzung wäre katastrophal. Die Verharmlosung dieses Grundrechtseingriffes kommentiere ich besser nicht und nur weil diese Daten erhoben werden kann man sicherlich nicht den Lockdown beenden.
Wie könnte man jetzt aber die CWA tatsächlich effektiver gestalten?
Vorneweg: Ich bin kein Infektiologe, Virologe. Auf gut Deutsch: Ich habe keine Ahnung! Trotzdem lassen wir aus meiner Sicht eine Vielzahl von Möglichkeiten für eine besseres Tracing erfolglos verstreichen. Als Beispiele fallen mir z.B. ein
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Insbesondere zusätzliche Bluetooth-Beacons die nach dem selben Prinzip wie die CWA arbeiten. Diese sollten z.B. im ÖPNV, Aufzügen und anderen schlecht belüfteten Orten installiert werden. Oder auch insgesamt an Orten mit erhöhtem Risiko wie Restaurants, Kantinen, beim Friseur etc. .
Begründung:Das aktuelle Design der CWA geht davon aus das eine ansteckende Person ihre Ansteckung immer nur um sich hat. Sie geht in den Aufzug, hustet alles voll, verlässt diesen und die Luft ist auf magische Art und Weise wieder sauber. Dies ist natürlich nicht der Fall.
Selbiges gilt für den ÖPNV. Cpt. CheesyCrust hat auf Twitter ein schickes Foto von einer Ver-/Entrauchungsübung bei einem Zug. Guter Luftaustausch sieht m.E. anders aus.Was würde nun ein Beacon verbessern? Man könnte es z.B. für einen Tag (oder einen beliebigen anderen, idealerweise wissenschaftlich begründeten) Zeitraum als “infiziert” markieren. Alle die das Beacon in der Zeit gesehen hätten würden in der Folge benachrichtigt und konsequent getestet.
Alternativ zu einem Beacon könnte man dies mit einer Check-In/Out Lösung umsetzen - allerdings sehe ich hier eine eher inkonsequente Nutzung ;-) .
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Konsequentes Testen aller möglichen Fälle
Die vermutete Dunkelziffer ist m.E. über die komplette Pandemie viel zu hoch. Verschiedene Länder die erfolgreich gegen die Pandemie vorgehen schaffen dies mit sehr vielen Tests (bis hinzu Massentests), einem konsequenten (und im Einzelfall sicher deutlich schmerzhafterem) Containment (als bei uns) und einer konsequenten “Zero-Covid” Strategie. In Neuseeland gibt es eine handvoll Fälle die man sich nicht erklären konnte -> Lockdown. In Deutschland können 80% der Fälle nicht zugeordnet werden? Ist halt so. Kann man nichts machen. Ist wie bei schlechter Software. -
Konsequentes Testen echt zufälliger Kontrollgruppen
Nach wie vor gibt es meines Wissens zu wenig Versuche die Dunkelziffern zu reduzieren und auch eventuell unerkannte Cluster zu finden. Hier könnte und sollte man mehr Anstrengung unternehmen. -
Konsequentes Testen exponierter Gruppen
Personen die viele Kontakte haben und diese auch nicht vermeiden können (z.B. BusfahrerInnen, VerkäuferInnen, KrankenpflegerInnen, ÄrztInnen usw.) sollten konsequent und regelmäßig unabhängig von Symptomen getestet werden. Schrittweise beginnend mit denen die die meisten und wechselnden Kontakte haben. -
Konsequentes Testen asymptomatischer Gruppen
Das fiese am Coronavirus ist ja dass es bei einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Erkrankten zu keinen Symptomen, jedoch zu einer Weiterübertragbarkeit führt. Gerade bei Kindern wäre es, auch um einen sicheren Schul-/Kitabetrieb zu ermöglichen, notwendig ein konsequentes Monitoring durchzuziehen und diese als “Warnmelder” zu nutzen um Cluster zu identifizieren. -
Günstige Antigentests zur Eigen-/Amateuranwendung
Ich warte nach wie vor auf die Verfügbarkeit von Antigentests mit denen ich mich selbst monitoren kann. Diese wurden im Sommer bereits versprochen - lassen aber nach wie vor auf sich warten. Im Gespräch war mal ein Stückpreis von 1€/Test. Eine “Monatsdosis” läge also bei rund 30€. Auch wenn man sicherlich nicht voraussetzen kann dass dies jeder nutzt würden es m.E. doch sehr viele tun. Bei finanziell schlechter gestellten ist darauf zu achten niemanden auszuschließen. Selbst wenn die Teile nur eine Zuverlässigkeit (Sensibilität/Spezifizität spar ich mir in diesem Zusammenhang) von 80% hätten und ein Viertel der Testanwendung falsch erfolgt würde m.E. eine große Zahl an Dunkelfällen entdeckt werden und man könnte die (bis dahin unbekannten) Cluster eindämmen. Wichtig wäre halt zu kommunizieren das Schutzmaßnahmen deswegen nicht unsicher werden. Da die Anwendung von Tests bei Kindern ja insgesamt etwas schwerer ist könnte bei diesen das Testen in der Schule/Kita erfolgen.
Und das ist nur was mir so spontan einfällt. Profis hätten da sicherlich noch weitere Ideen.
Bei den enormen sozialen und wissenschaftlichen Folgen:
Wieso wird obiges nicht zumindest zum Teil gemacht?
Da ich den Text jetzt nur runtergeschrieben habe gehe ich davon aus das im Nachhinein es noch zu Nachträgen/Korrekturen kommt. Ich werde diese entsprechend markieren :-) .
Über Feedback würde ich mich sehr freuen :-) .
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